Hans-Peter und die zerbrochenen Scheiben

Mit der Veröffentlichung des Beitrages „Hans-Peter und die zerbrochenen Scheiben“ als Folge 43 der Reihe unserer geschätzten Kollegin Nicole Kubenka von der Friedhofsverwaltung der Stadt Sassnitz möchten wir als Bestattungsinstitut Gotha dazu beitragen, die auf nette Art dargestellten Alltagsprobleme auf den Friedhöfen unseres Landes in die Gegenwart zurückzuholen und zum Nachdenken anzuregen. Erneut ein angenehmes Lesen wünscht Ronald Häring, Geschäftsführer.

Hans-Peter und die zerbrochenen Scheiben

Seit der zweiten Lesung habe ich Hans-Peter nicht mehr zu Gesicht bekommen. Zwar hämmerte und werkelte es noch einige Tage in der Ideenschmiede, auch war fröhliches Weihnachtsgeträller zu vernehmen, jedoch ist es seit ein paar Tagen verdächtig still.

Inzwischen ist es zwei Tage vor Heilig Abend, da ich mir Sorgen um Hans-Peter mache, beschließe ich ihn zu suchen.  Es dauert ein wenig bis ich fündig werde, denn auch an seinen Lieblingsplätzen ist er nicht anzutreffen. Ein rot-weißer Punkt schimmert in einer dichten Kiefer im Sonnenlicht und ich habe eine leise Ahnung was dies, so hoch im Baum, sein könnte. Also steuere ich darauf zu und als ich nicht nur den Gegenstand identifizieren kann, sondern auch Hans-Peter darin entdecke muss ich schmunzeln. Dacht` ich`s mir doch, denke ich fröhlich und will den kleinen Rabenvogel gerade mit meiner Entdeckung necken, als mich sein Anblick abrupt erstarren lässt.

Hans-Peter sitzt mit hängenden Flügeln auf einem dickeren Ast. Er hat sich in die rote Mütze vom Deko-Weihnachtsbaum der zweiten Lesung vergraben. Sein sonst so schönes Gefieder ist matt und einige Federn scheinen zu fehlen. Er hat kleine Verbände an beiden Vogelfüßen. Sein Kopf ist gesenkt, sein Blick leer und Tränen kullern ihm vom Schnabel.

Mir zerreißt es das Herz.

Ein leises Räuspern macht mich auf Hildegard aufmerksam. Sie sitzt im Nachbarbaum. Ich sehe sie fragend an, meine Lippen formen ein lautloses „Was ist los?“, aber Sie schüttelt ratlos mit dem Kopf. „Hans-Peter..???“, sage ich sanft. Es dauert ein wenig, bis er reagiert. „Was ist passiert“?, frage ich, obgleich ich es mir bereits denken kann und blicke in Richtung der Trauerhalle. Zorn steigt in mir auf und ich schüttle verärgert mit dem Kopf. Mein Blick fällt wieder auf Hans-Peter, der mich aus großen traurigen Augen direkt anschaut.
„Was ist mit deinen Füßchen passiert?“, frage ich und deute darauf.
„Ich bin an der Trauerhalle in Glas getreten“, antwortet er matt.

„Möchtest Du mir sagen, was dein kleines Herz so bedrückt?“ Er nickt leicht und nimmt einen tiefen Atemzug.
„Nicole, warum machen Menschen das?“ fragt er resigniert.
„Ich weiß es nicht Hans-Peter. Ich kann es auch nicht verstehen oder im Ansatz erklären, was Menschen dazu bringt, Scheiben an einer Trauerhalle einzuwerfen.“, antworte ich ruhig, obwohl der Zorn erneut in mir aufsteigt.
Ich denke an all das zerschlagene Glas und die Bilder der zahlreichen Beschädigungen an Bänken und Einrichtungsgegenständen, säckeweise Müll, die Brandflecken, unzähligen Zigarettenkippen und ausgespuckte sowie verschmierte Kaugummis auf dem Sandstein vor der Trauerhalle.
Mein Zorn potenziert sich, als ich vor meinem inneren Auge die Bilder, der, an die an die Wand geschmierten und in den Putz gebrannten, Hakenkreuze sehe.

Nun habe ich Tränen in den Augen. Ich denke an all die Arbeit, Mühen, Zeit und Kraft die es meine Kolleg*innen und mich kostet, diese Dinge wieder zu reparieren, auszubessern, zu säubern und ohnehin Instand zu halten. Kraft und Zeit die wir für unsere eigentliche Arbeit nötiger bräuchten.

Weißt Du, Hans-Peter, sage ich, „über die Gründe können wir nur spekulieren, aber es ist wohl ganz entscheidend die Abwesenheit von Respekt, die Menschen zu solchen Handlungen bewegt.

Ihnen fehlt der Respekt vor dem was andere Menschen geschaffen und aufgebaut haben.
Respekt vor dem was Andere erhalten und pflegen.
Respekt vor der Kraft und Arbeit, die andere Menschen dafür aufbringen.
Respekt vor dem, was ein Friedhof ist.
Respekt vor dem Eigentum Anderer.
Respekt vor unserer Geschichte.
Respekt vor Menschen.

Ein Friedhof ist mehr als nur ein Ort zum Trauern – er ist vor allem ein Ort der Begegnung.
Ein Ort der Stille und des Lachens. Ein Ort des Gedenkens und Verweilens.
Ein Ort der Liebe und des Respekts.

Für Fremdenfeindlichkeit und Hass ist kein Platz auf diesem Friedhof!

Ebenso wenig für Vandalismus, Brandstiftung und Müll.

Wir haben bereits Gegenmaßnahmen ergriffen und werden die uns zur Verfügung stehenden Mittel voll ausschöpfen.

Meine abschließenden Worte richte ich an die Personen, die für diese Handlungen verantwortlich sind. Haben Sie Mut? Haben Sie Respekt? Haben Sie Verantwortungsbewusstsein? Haben Sie Einsicht? Möchten Sie respektiert werden?
Dann beweisen Sie es!
Melden Sie sich freiwillig bei der Polizei in Sassnitz.

Ich danke den Sassnitzerinnen und Sassnitzer für die Unterstützung, für die tröstenden Worte, für´s Hände drücken und Mut machen.

Nichts kann uns trennen – solange uns die Menschlichkeit verbindet.

Nicole Kubenka

 

 

 

 

 

Hans-Peter und die zerbrochenen Scheiben

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