Hans-Peter und die namenlosen Gräber

Mit der Veröffentlichung des Beitrages „Hans-Peter und die namenlosen Gräber“ als Folge 2 der Reihe unserer geschätzten Kollegin Nicole Kubenka von der Friedhofsverwaltung der Stadt Sassnitz möchten wir als Bestattungsinstitut Gotha dazu beitragen, die auf nette Art dargestellten Alltagsprobleme auf den Friedhöfen unseres Landes in die Gegenwart zurückzuholen und zum Nachdenken anzuregen. Erneut ein angenehmes Lesen wünscht Ronald Häring, Geschäftsführer.

Hans-Peter und die namenlosen Gräber

Eine gefühlte Ewigkeit ist vergangen, dass unsere FriedhofsMenschenFrau zuletzt hier bei uns war. Wir haben ihre neue Kollegin sagen hören, dass sie im Urlaub ist. Ok, wir wissen was Urlaub bedeutet und wozu dieser den Menschen dient, aber drei Wochen? Wir haben als gefiederte Spezies nicht dasselbe Zeitgefühl wie Ihr Menschen, daher kommt es uns sehr viel länger vor als Euch. Eeeeewiiiig!!!

Umso größer ist die Freude an jenem Tag, als Sie aus dem grün-gelben Drachen steigt (er heißt übrigens „Little Jonny“) und ein Grab für eine Urnenbeisetzung öffnet. Sie arbeitet konzentriert, bekommt aber trotzdem mit, was um sie herum passiert.

Wir verhalten uns ruhig und lassen Sie arbeiten, aber ich bin so aufgeregt, weil ich so viele Fragen habe. Ungeduldig hüpfe ich von einem Bein aufs andere, schmeiße ein paar Kerzen um, schließlich halte ich es nicht mehr aus und lande auf dem Kopf von Little Jonny.

Sie hat meine Aufgeregtheit natürlich längst bemerkt, dreht sich zu mir um und sieht mich lächelnd an.

„Nicole?“ Beginne ich schüchtern hüpfend. „Hans-Peter“ sagt sie sanft. „Ich habe Fragen,“ sage ich. „Nun?“ fragt sie sichtlich amüsiert. „Was hast Du auf deinem kleinen Herzen?“ Ich muss mich kurz sammeln und hole tief Luft. „Also“ beginne ich, „wir haben Dich neulich beobachtet“. Sie zieht die eine Augenbraue nach oben, grinst breit „na guck“, kommentiert sie trocken. „Wobei denn?“ Fragt sie. Ich stochere verlegen im Boden umher und lege los. „Als Du das letzte Mal hier ein Grab geschlossen hast, war da auch eine ältere Dame. Sie stand genau an der Stelle, an der wir gerade stehen, sie ist dann zur Bank gegangen und hat bitterlich geweint“.

Die FriedhofsMenschenFrau nickt und Ihre Mimik verrät mir, dass sie sich daran erinnert.

„Du hast sie erst einmal in den Arm genommen und ihr die Zeit gegeben, die sie brauchte, um sich zu beruhigen. Du hast sie gefragt, ob du etwas für sie tun kannst. Dann hat sie Dir alles erzählt. Sie sagte, dass sie sich nicht sicher ist, ob sie wirklich vor dem Grab ihres Mannes steht. Sie sei zwar dabei gewesen, aber der Ort hat sich verändert, viele Verstorbene wurden hier inzwischen zur letzten Ruhe gebettet und auch wenn es genau an der Hecke war, kann sie es nicht mit Sicherheit sagen, ob es genau dieses Grab ist, an dem sie trauert. Sie sagte auch, dass sie heute anders entscheiden würde, hätte sie doch nur gewusst, was ein namenloses Grab doch mit ihr macht!“

„Nicole, warum gibt es hier keine Namen aber an anderen Gräbern schon. So wie bei den Baumgräbern oder die anderen, die einen Stein haben? Was ist der Unterschied?“
„Nun Hans-Peter“, sagt sie, atmet hörbar tief aus und setzt sich zu mir auf die Wiese. „Diese Gräber hier sind die anonymen Urnen- und Sarggräber auf einer Gemeinschaftsgrabanlage. Anonym bedeutet per Definition: „ungenannt und ohne Namensnennung“. Das bedeutet für eine Bestattung, dass keine Trauernden anwesend sind, die Grabstelle wird weder durch einen Grabstein noch eine Grabplatte gekennzeichnet. Es wissen also weder der Bestatter noch die Angehörigen, wo der oder die Verstorbene beigesetzt wird. Das Grab bleibt anonym, es sind eben die namenlosen Gräber“.

„Im Laufe der letzten Jahre wurde das etwas „aufgeweicht“, um den Trauernden einen Abschied im Sinne einer Beisetzung/Beerdigung zu ermöglichen. Dies ist ein wichtiger Schritt in der Trauer. Menschen müssen den Tod begreifen, ihn sehen können, damit die Trauer ver- und bearbeitet werden kann. Fehlt dieser Schritt, also das zu Grabe tragen und Beisetzen, kann die Trauerbewältigung nicht richtig beginnen. Ein ganz erheblicher Faktor, welcher zu dieser Entscheidung sehr oft beiträgt, sind die Kosten für ein anonymes Grab. Eine anonyme Bestattung kostet nicht so viel wie eine Bestattung in einem eigenen Grab mit Stein oder in einer Gemeinschaftsanlage mit Namensnennung an einer Stele. Zudem wird leider eine anonyme Bestattung auch mit wenig bis keiner Grabpflege gleichgesetzt. Die Menschen, welche sich zu Lebzeiten dafür entscheiden, sehen in erster Linie nur, dass man seinen Kindern, Freunden, Angehörigen keine zusätzlichen Kosten oder Aufwand für Grabpflege aufbürden möchte. Das Problem ist jedoch, das sich die wenigsten bereits zu Lebzeiten Gedanken über den Tod oder gar die eigene Beerdigung machen. Was verständlich ist. Der Mensch denkt eben nicht gerne über seine eigene Sterblichkeit nach. Damit bleiben aber viele Fragen im Späteren offen. Es wird nicht besprochen, ob es Angehörige gibt, die vielleicht doch ein kleines Grab pflegen möchten. Einfach weil sie es für die eigene Trauerbewältigung hilfreich ist. Trauer braucht Zeit. Trauer braucht Raum. Für viele Menschen braucht Trauer auch einen Ort, der einen Namen trägt.“

Es ist ganz still um uns.

„Es gibt hier doch auf dem neuen Friedhof aber angemessene und nicht so kostenintensive Alternativen, richtig“, frage ich mit klopfendem Herz und Kloß im Hals.

„Ja, die gibt es. Denk an die Baumgräber mit Stele und Namensnennung. Ähnliche Anlagen sollen auch hier künftig entstehen.“ sagt sie. „Sind die denn so viel teurer?“, will ich wissen.

„Was teuer oder günstig ist, kann man nicht in Zahlen ausdrücken. Dass empfindet jeder Mensch anders. Der Wert eines Menschen sollte nicht am Preis für eine würdevolle Bestattung oder an einem Grab gemessen werden. Der Wert eines Menschen kann nur in Liebe gemessen werden. Die Liebe allein vermag zu ermessen, was ein Mensch einem anderen bedeutet. Denn alles was bleibt ist die Liebe. Und die Liebe trägt einen Namen“.

Nicole Kubenka

die namenlosen Gräber

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