Mit der Veröffentlichung des Beitrages „Hans-Peter und die Liebe trägt einen Namen“ als Folge 5 der Reihe unserer geschätzten Kollegin Nicole Kubenka von der Friedhofsverwaltung der Stadt Sassnitz möchten wir als Bestattungsinstitut Gotha dazu beitragen, die auf nette Art dargestellten Alltagsprobleme auf den Friedhöfen unseres Landes in die Gegenwart zurückzuholen und zum Nachdenken anzuregen. Erneut ein angenehmes Lesen wünscht Ronald Häring, Geschäftsführer.
Hans-Peter und die Liebe trägt einen Namen
Inzwischen ist fast Februar und das Neue Jahr längst nicht mehr so lang – wie es vor einigen Wochen noch war.
Hans-Peter hat sich von den Strapazen des letzten Jahres noch nicht vollständig erholt, ist aber auf einem guten Weg. Ich finde ihn auf unserem gemeinsamen Lieblingsbaum. Hans-Peter hat es sich im Schneidersitz auf einem Ast bequem gemacht. Er hat den Schnabel in sein kleines rotes Notizbuch gesteckt und kritzelt eifrig darin herum.
Er hört mich deshalb nicht kommen. Das verschafft mir die Gelegenheit, ihn noch etwas zu beobachten. Die Verbände an seinen Füßchen sind ab, die Schnitte sind gut verheilt, sein Gefieder scheint wieder etwas voller zu sein, obgleich es noch etwas matt erscheint. Seine Augen sind klar, der traurige Ausdruck ist verschwunden und hat der alten Neugier Platz gemacht.
„Süß“, denke ich und mir wird warm ums Herz. Er hat mich immer noch nicht bemerkt, was mich auf eine Idee bringt. Zeit für eine kleine Revanche, denke ich und muss grinsen.
„Guuteen Mooorgeeen“, trällere ich.
Hans-Peter zuck so heftig zusammen, dass er einen Satz nach hinten macht und rückwärts vom Ast kippt. Jetzt passieren einige Dinge gleichzeitig. Beim Versuch, nicht vom Baum zufallen, rudert er mit den Flügeln so eifrig, dass Notizbuch und Stift in verschiedenen Richtungen in hohem Bogen vom Baum fallen. Er versucht, sich am Ast festzukrallen, aber das Flügelrudern verstärkt den Rückwärtsdrall nur noch und so kann ich zusehen, wie er langsam – aber sicher – am Ast entlang nach unten gleitet. Er hängt nun kopfüber vom Baum. Das Gefieder rutscht,, der Schwerkraft, folgend etwas Richtung Kopf. Die Flügel hat Hans-Peter demonstrativ vor der kleinen Brust verschränkt. Er sieht nun aus wie eine sehr sehr flauschige Fledermaus.
Während ich von einem Lachanfall geschüttelt werde, baumelt Hans-Peter, mit vor der Brust verschränkten Flügeln, leise im Wind und guckt mir beim Lachen zu.
„Nicole.“, sagt er selbst sichtlich amüsiert.
„Hans-Peter“, sage ich und wische mir die Lachtränen aus den Augen. „Wie geht es Dir?“.
„Nun, meine Welt steht grad Kopf, aber ich lass`mich nicht hängen.“ , sagt er trocken und lässt sich vom Ast fallen, um kurze Zeit später wieder darauf zu landen.
Ich hebe sein kleines rotes Büchlein nebst dem Stift auf und reiche es ihm. „Womit beschäftigst Du Dich gerade?“, frage ich.
Er rafft sein Gefieder, setzt sich in eine bequeme Position und holt Luft.
„Erzähl mit etwas über das Schloss und das Projekt“, sagt er eifrig und blickt in Richtung der namenlosen Gräber. Ich folge seinem Blick.
„Die Idee mit dem Trauerschloss kommt von einer Praktikantin eines Bestatter-Kollegen aus NRW. Er engagiert sich ebenfalls als Botschafter für das Immaterielle Erbe Friedhofskultur und hat uns davon erzählt.
Wie viele Kolleginnen und Kollegen berichten, sind Angehörige und Familien mit der Entscheidung einer anonymen Bestattung im Nachgang sehr unglücklich. Der Wunsch nach einer „anonymen grünen Wiese“ ist im Denken vieler Menschen immer noch sehr fest mit dem Begriff „kostengünstig“ verankert. Zudem wird leider die anonyme Bestattung auch mit wenig bis keiner Grabpflege gleichgesetzt. Die Menschen, welche sich zu Lebzeiten dafür entscheiden, sehen in erster Linie nur, dass man seinen Kindern, Freunden, Angehörigen keine zusätzlichen Kosten oder Aufwand für Grabpflege aufbürden möchten (s. Bloompott Ausgabe 08/2022). Jedoch wird nicht mit Angehörigen darüber gesprochen oder gar daran gedacht, Partner, Kinder, Enkel und Freunde mit einzubeziehen.
Menschen die sich für eine anonyme Bestattung zu Lebzeiten entscheiden, meinen es grundsätzlich gut mit ihren Liebsten.
Manchmal jedoch reichen die Spuren die wir in den Herzen hinterlassen nicht aus, um über einen Verlust hinweg zu kommen.
Ein Mensch. Ein Leben. Eine Geschichte. Ein Name.
Gerade in den Monaten der Vorweihnachtszeit wurde in vielen Gesprächen mit Angehörigen deutlich, dass auch hier in Sassnitz der Wunsch nach einer nachträglichen Namensnennung auf den anonymen Urnengemeinschaftsanlagen des Neuen Friedhofs immer größer wird. Gleichsam von Familien und Angehörigen der auf See bestatteten.
Trauer braucht einen Ort.
Trauer braucht einen Anker.
Trauer braucht einen Namen.
Was hältst Du von der Idee Hans-Peter?“, frage ich und sehe ihn an.
Ein schniefen ist zu hören und ein Tränchen kullert aus seinen kleinen wässrigen, aber wachen Augen.
„Das finde ich sehr schön“ sagt er und wischt sich mit dem Flügel das Tränchen vom Schnabel.
Deshalb möchten wir mit Ihnen, liebe Sassnitzerinnen und Sassnitzer, liebe Angehörige, eine Alternative der nachträglichen Namensnennung auf dem Neuen Friedhof erschaffen.
Eine schöne und kostengünstige Variante könnte das Anbringen von „Trauerschlössern“ an einem zentralen Ort sein. Einige impulsgebende Gespräche haben bereits Ideen entstehen lassen. Jedoch sind nun Sie gefragt. Sammeln wir gemeinsam Ideen, machen Sie Vorschläge, unterstützen Sie uns bei der Entwicklung und der Umsetzung des Projekts:
„Alles was bleibt ist die Liebe – und die Liebe trägt einen Namen“.
Machen Sie mit. Senden Sie uns Ideen, Vorschläge, Anregungen und Kritik bis 30. April 2023. Formlos per Post an die bekannte Adresse oder per E-Mail annkubenka@sassnitz.de
Nicole Kubenka